Dr Jana Uher       

 

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„Persönlichkeits“-Unterschiede, aber keine Geschlechtsunterschiede im Verhalten von vier Affenarten aus drei Kontinenten 

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Rein optisch unterscheiden sich die Geschlechter bei vielen Tierarten. Männliche Individuen sind oft größer und körperlich stärker als weibliche Individuen. Doch Geschlechtsunterschiede im Körperbau im müssen nicht mit Geschlechtsunterschieden im Verhalten einhergehen wie eine neue Studie an Braunen Kapuzineraffen, Mandrills, Ceylon-Hutaffen und Rhesusaffen zeigt. Vielmehr gab es im Verhalten jeder dieser vier Affenarten stabile individuelle Unterschiede, also „Persönlichkeits“-Unterschiede. Doch Geschlechtsunterschiede fehlten weitgehend. Diese Befunde werfen ein neues Licht auf die Annahme vieler Evolutionspsychologen, Geschlechtsunterschiede im menschlichen Verhalten ergäben sich zwangsläufig durch körperliche Unterschiede zwischen Mann und Frau und seien daher ein natürliches Erbe unserer Evolution.
 


(© Fotos: Jana Uher, PPN, The London School of Economics & Freie Universität Berlin)

„Männer sind vom Mars und Frauen von der Venus“—um Geschlechtsunterschiede drehen sich viele Geschichten im menschlichen Alltag. Auch in der Psychologie wird das Thema intensiv erforscht. In den letzten Jahrzehnten ist es unter Psychologen modern geworden, Unterschiede im Verhalten nicht nur mit Unterschieden in der Biologie zwischen Mann und Frau zu erklären, sondern zunehmend auch mit evolutionären Theorien. 

Das Hauptproblem der Evolutionspsychologie ist jedoch, dass unsere Vorfahren nicht mehr existieren. Wissenschaftler können deshalb nur von archäologischen Funden und von heute lebenden Menschen Rückschlüsse auf das Verhalten unserer Vorfahren ziehen. Doch diese Rückschlüsse sind oft sehr spekulativ—und können letztlich nicht überprüft werden.

So ist in der Evolutionspsychologie die Annahme weitverbreitet, bereits unsere Vorfahren hätten ausgeprägte Geschlechtsunterschiede im Verhalten gezeigt. Die körperlich stärkeren Urmänner wären auf die Großwildjagd gegangen, während die körperlich schwächeren Urfrauen sich dem Sammeln von Früchten und Wurzeln, der sozialen Gemeinschaft und der Kindererziehung gewidmet hätten. Deshalb seien Männer mutiger und aggressiver, Frauen stärker sozial orientiert und ängstlicher. Da fossile Knochen keine Auskunft über das soziale Verhalten ihrer einstigen Träger geben, werden als Belege für diese evolutionären Theorien Befunde aus der Forschung an heute lebenden Menschen herangezogen. 

Ein Großteil der Forschung zu Geschlechtsunterschieden in der „Persönlichkeit“ basiert jedoch auf Fragebogenuntersuchungen. Fragebögen erfassen, was Menschen von sich und anderen Individuen denken. Doch sie können nicht messen, welche Besonderheiten und Unterschiede im Verhalten von Individuen tatsächlich beobachtbar sind. Fragebögen eignen sich daher nicht herauszufinden, ob Geschlechtsunterschiede im menschlichen Verhalten kulturell bedingt sind oder ob sie biologische und gar evolutionäre Ursachen haben. Zudem bleibt die Schlussfolgerung vom Verhalten heute lebender Menschen auf das Verhalten der evolutionären Vorfahren, um damit wiederum das Verhalten heutiger Menschen zu erklären, letztlich immer zirkulär. Mögliche Fehler bleiben unerkannt.

Vergleichende Psychologen gehen deshalb einen anderen Weg. Sie erforschen heute noch lebende Tierarten, vor allem nah verwandte Arten des Menschen—die nichtmenschlichen Primaten. Deren Verhaltensweisen, Sozialsysteme und Anpassungen an Lebensräume können direkt erforscht werden. Durch archäologische und genetische Analysen kann der Grad der evolutionären Verwandtschaft verschiedener Arten ermittelt werden. Aus der so gesicherten Wissens- und Datenbasis über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede heutiger Arten können Rückschlüsse über mögliche Verhaltensweisen ihrer Vorfahren gezogen werden. Damit eröffnen sich auch neue Möglichkeiten zur Testung evolutionärer Theorien, die sich auch auf den Menschen beziehen.

In einer neuen Studie untersuchte Jana Uher mit ihrer Forschungsgruppe das individuelle Verhalten von vier Affenarten im Berliner Zoo und im Tierheim Berlin. Diese Arten sind in drei verschiedenen Kontinenten beheimatet: Braune Kapuzineraffen stammen aus Südamerika, Mandrills aus Afrika, Ceylon-Hutaffen und Rhesusaffen - beides Makakenarten - stammen aus Asien. Die Studie basiert auf einem neuen Wissenschaftsparadigma, das die Forscherin entwickelt hat, um „Persönlichkeits“-Unterschiede“ unabhängig von der menschlichen Alltagssprache und auch bei nichtmenschlichen Arten zu untersuchen (siehe Science Blog „Ein neues Wissenschaftsparadigma für die Erforschung von Individuen“). 

In der neuen Studie hat Jana Uher Forschungsansätze der kulturvergleichenden „Persönlichkeits“-Psychologie“ für systematische Vergleiche von „Persönlichkeits“-Unterschieden zwischen verschiedenen Arten angepasst und weiterentwickelt. Um die neuen Methoden zu testen, wurden alle vier Affenarten über je 4-5 Wochen beobachtet, jedes Individuum für insgesamt 60-80 Stunden. Aufgezeichnet wurden Fellpflegeaktivitäten, Körperkontakt und Nähe zu Artgenossen, aggressives und dominantes Verhalten. In allen Verhaltensweisen gab es ausgeprägte und stabile individuelle Unterschiede, also „Persönlichkeits“-Unterschiede“ (Siehe Science Blog „Persönlichkeits“-Unterschiede bei vier Affenarten im Vergleich“).

Überraschenderweise fehlten Geschlechtsunterschiede fast vollständig. Es gab nur zwei Unterschiede: Bei den Hutaffen waren Weibchen häufig mit einer größeren Anzahl von Gruppenmitgliedern zusammen als Männchen und bei den Rhesusaffen pflegten Weibchen häufiger als Männchen anderen das Fell. Doch diese Unterschiede fanden sich weder bei den Braunen Kapuzineraffen noch bei den Mandrills. Zudem zeigten sich keine Geschlechtsunterschiede im aggressiven und dominanten Verhalten—in keiner der vier Affenarten.

Dies ist bemerkenswert, denn bei allen vier Arten sind Männchen größer als Weibchen. Bei den Mandrills ist der Unterschied besonders groß: Männchen sind doppelt so schwer wie Weibchen—dieser Geschlechtsunterschied ist einer der größten unter allen Primatenarten. Mandrills sind auch die größten Tieraffen der Welt—und die auffallendsten: die Männchen haben exotisch anmutende blaue, weiße und rote Färbungen auf dem Hinterteil und im Gesicht, umrahmt von einem gelben Fellkragen auf dem sonst olivfarbenen Haarkleid.

„Hauptziel der Studie war es, die neue Methodik für Vergleiche von „Persönlichkeits“-unterschieden zwischen verschiedenen Arten—darunter auch Geschlechtsunterschiede—vorzustellen und ihre Anwendung am Beispiel der vier Affenarten zu zeigen. Deshalb wurde pro Affenart jeweils nur eine Gruppe untersucht. Dennoch lässt sich statistisch abschätzen, dass die Befunde auch in größeren Studien ähnlich ausfallen werden“, sagt Jana Uher. 

In einer früheren Studie untersuchte die Forscherin mit ihren Kooperationspartnern in Rom über längere Zeit vier Gruppen von Hauben-Kapuzineraffen. Auch diese südamerikanische Affen zeigten ausgeprägte „Persönlichkeits“-Unterschiede, doch Geschlechtsunterschiede fehlten weitgehend. „Nun haben wir bereits Daten von acht sozialen Gruppen aus fünf verschiedenen Affenarten. Bei allen gab es stabile individuelle Unterschiede, aber kaum Geschlechtsunterschiede im Verhalten“, fasst sie zusammen (siehe Science Blog „Geschlechtsunterschiede, keineswegs so universell wie bisher gedacht“).

Dagegen gab es bei Javaneraffen durchaus Geschlechtsunterschiede. Diese aus Asien stammende Makaken-Art hat Jana Uher mit niederländischen Forscherkollegen in Utrecht über drei Jahre lang erforscht. Das Team untersuchte dabei nicht nur das Verhalten von 104 Javaneraffen, sondern auch wie 99 menschliche Beobachter diese Affen im Anschluss an systematische Verhaltensbeobachtungen auf „Persönlichkeits“-Fragebögen beurteilten. 

Übereinstimmend mit den Verhaltensdaten hielten die Beobachter die Männchen für genauso gesellig wie die Weibchen, für neugieriger und verspielter und weniger aggressiv als die Weibchen. Aber abweichend von den Verhaltensdaten beurteilten sie die Männchen als gleich ängstlich wie die Weibchen, obwohl sie selbst bei den Männchen mehr Angst-verhalten als bei den Weibchen beobachtet hatten. Haben vielleicht gängige Stereotype vom Mut männlicher Individuen und der Ängstlichkeit der weiblichen die Beurteilungen verzerrt?

Männchen zeigten auch mehr impulsives Verhalten, doch das wiederspiegelte sich nicht in den „Persönlichkeits“-Beurteilungen der Beobachter. „Möglicherweise haben die Beurteiler schon mental mit eingerechnet, dass Männchen generell impulsiver sind als Weibchen und haben deshalb die Männchen nur in Bezug auf andere Männchen beurteilt, nicht aber im Vergleich mit allen anderen Individuen“, vermutet Jana Uher (siehe Science Blog „Die menschliche ‚Persönlichkeits-Brille’ – Warum wir uns Eindrücke von Individuen bilden”).

„Es ist eindeutig, dass stereotype Vorstellungen Fragebogenurteile systematisch verzerren. Aber in welchen Beurteilungen und auf welche Weise diese Verzerrungen auftreten, scheint höchst unterschiedlich zu sein. Das macht die Befundlage umso komplexer. Wir müssen dringend erforschen, wie Fragebogenantworten überhaupt entstehen. Ansonsten sind alle Fragebogendaten wertlos“, sagt die Forscherin besorgt.

Untersuchungen von Geschlechtsunterschieden im menschlichen Verhalten sind besonders kompliziert. Denn kulturelle Vorstellungen über typisch männliches und weibliches Verhalten beeinflussen nicht nur die Interpretation von beobachtetem Verhalten und die Ergebnisse von Fragebogenstudien—sie verändern auch das Verhalten der Individuen selbst. So haben viele Studien gezeigt, dass Kinder erst im Laufe ihrer Entwicklung lernen, die geschlechts-spezifischen Vorstellungen ihrer jeweiligen sozialen Gemeinschaft zu übernehmen und sich entsprechend zu verhalten. Möglicherweise sind Geschlechtsunterschiede im Verhalten daher viel weniger stark biologisch angelegt als häufig gedacht. 

Die neuen Befunde von vier Affenarten bestärken diese Vermutung. Dennoch betont Jana Uher: „Die Befunde von anderen Primatenarten bedeuten nicht, dass es auch bei unseren menschlichen Vorfahren kaum Geschlechtsunterschiede gegeben haben muss. Aber die neuen Befunde zeigen, dass körperliche Geschlechtsunterschiede keineswegs zwangsläufig auch mit Verhaltensunterschieden einhergehen müssen, wie bisher oft angenommen wird“.

Die Studie ist Teil des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projekts UH249/1-1.

Wissenschaftliche Publikation:

Uher, J. (2015e). Comparing individuals within and across situations, groups and species: Metatheoretical and methodological foundations demonstrated in primate behaviour. In D. Emmans & A. Laihinen (Eds.). Comparative neuropsychology and brain imaging (Vol. 2), Series Neuropsychology: An interdisciplinary approach. (chapter 14, pp. 223-284). Berlin: Lit Verlag.  ISBN 978-3-643-90653-3  [Download]  [GoogeBooks]

Letzte Aktualisierung 20.06.2015

Keywords: Brauner Kapuzineraffe (Cebus olivaceus), Mandrill (Mandrillus sphinx), Ceylon-Hutaffe (Macaca sinica), Rhesusaffe (Macaca mulatta), Makaken, Geschlechtsunterschiede, Persönlichkeit, Beurteilung, Persönlichkeitsfragebogen, individuelle Unterschiede, Rating, individuelles Verhalten, individual-spezifisches Verhalten, Beurteilungsfehler.

  

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